Kanada: Richtung Süden im September 2011

Die 270 km lange Panoramafahrt über den Top of the World Highway führt nur an einem einzigen Ort „Chicken“ vorbei. Ich fahre auf dem nördlichsten Highway der Welt und habe noch nie so viel Straße gesehen, die scheinbar immer wieder im Himmel endet. Die 200 Kilometer nicht geteerte Straße verläuft über einsame Bergkuppen. Ein beeindruckendes und erhebendes Erlebnis.

Der Top of the World Highway endet in Dawson City. Die alte Goldgäberstadt beherbergte um 1900 zur Zeit des Klondike Gold Rush ca. 30.000 Menschen. Aus dieser Zeit stehen noch einige alte Häuser wie die alte Kirche, andere sind restauriert wie das Downtown-Hotel, in dem auch Jack London seine Romane geschrieben hat und ich nächtige. Am Abend kehren Charly und ich ein im ehemaligen Bordell Dawsons, dass heute eine beliebte Kneipe vor allem für junge Leute ist und Live Musik bietet.

Auf der Anhöhe vor Pellycrossing machen wir eine Pause. Während ich eine ganze Weile einen Schmetterling mit der Fotokamera verfolge, bemerke ich hinter mir einen Wagen halten. Ein netter junger Mann im Polizeiauto entschuldigt sich, dass er den Schmetterling verscheucht hat, der nun schon sehr lange dem „Kanadas-next-top-butterfly“-Fotoshooting standgehalten hat. Er möchte wissen, ob ich zwei 15jährige Jungen gesehen habe. Habe ich nicht. Unsere noch gemeinsame Reise endet heute Abend bei einem Lagerfeuer mit zwei umher streunenden Füchsen am Yukon.

Zurück auf dem 1942 erbauten legendären 2.300 km langen Alaska Highway Number One, der von Fairbanks über Dawson Creek nach Süden führt,

sehe ich am Straßenrand einen freilebenden Wolf und eine Bärenmutter mit ihrem Jungen. Am folgenden Tag eine wilde Büffelherde, die den Verkehr zum Stehen bringt. Ein Karibupaar. Unvorstellbar. Kanada ist ein riesen großer Wildpark, durch den ich tagelang und tausende von Kilometern fahre.

Mittlerweile sind wir zusammen seit über 8.000 km unterwegs und ich kann kaum glauben, dass ich jeden Tag verblüffendes erleben darf. Das gilt auch für das Wetter. Hinter mir ist der Himmel strahlend hellblau, so dass man meinen könnte die Fotos haben einen Blaustich, und vor mir erheben sich schwarze Wolken, aus denen es hagelt. Am Watson Lake Visitor Center schaue ich mir die vielen hinterlassenen Straßen- und Nummernschilder der weltweiten Besucherschaft an und erhalte Informationen über die kommenden 580 km: Sehenswerte Aussichtspunkte, Motels, Hotels, Campingplätze und Restaurants, die z.B. leckere Cinnamonbuns (warme Zimtkuchen) anbieten. Wir erreichen die ersten Ausläufer der Rocky Mountains. Kurz vor einem ordentlichen Gewitter erreichen wir ein Motel in Fort Nelson und ich hoffe auf einen sonnigen nächsten Tag.

Die nächsten Tage werden sonnig und einzigartig: Wir fahren hunderte Kilometer Tag um Tag und sind 24 Stunden rund um die Uhr zusammen. Letzteres kristallisiert sich als zunehmend schwieriger heraus. Seit 2.000 km mit einem neuen Hinterreifen auf meinem Gepäck, der eine angenehme Rückenlehne bietet. In Fort St. John wird nicht nur der Hinterreifen, sondern auch die Bremsen hinten ausgewechselt und ein Liter Öl nachgegossen. Jetzt läuft mein Motorrad gleich wieder runder und verliert auch keine Kühlerflüssigkeit mehr.

Zwischendurch verbringe ich eine schlaflose Nacht am schönen Charlie Lake. Wie schon so oft liegen viele Unterkünfte, Restaurants und selbst die Wohnhäuser am Highway. Und wenn dies der Alaska Highway ist, dann fahren dort bis 24 Uhr und ab 4 Uhr morgens wieder schwere Lkw, die einem den Schlaf rauben. Auch mit Ohrenstöpsel. Straßen, die vom Highway wegführen gibt es entweder nicht oder man hört ihn auch 5 km weiter entfernt noch. Idyllische Landschaft und ohrenbetäubender Lärm in Charlie Lake am Alaska Highway. Er endet in Dawson Creek.

Nach dieser schlaflosen Nacht und einem halben Tag Motorradreparatur in brütend heißer Sonne, nehmen wir den 250 km langen Umweg über Hutson Hope und kehren im noblen Best Western Hotel gegen Mittag ein, um erst einmal auszuschlafen. Begrüßt werden wir von Bettin, einer Schwäbin. Ich will wissen, wie man als Schwäbin nach Kanada kommt. Bettina erzählt und sie erzählt sehr viel: Mit ihrer Freundin auf Malta im Urlaub, lernte diese einen Kanadier kennen und auf deren Hochzeit in Kanada Bettina ihren Mann. Der die letzten neun Jahre einen guten Job hatte und von einem anderen Unternehmen zum Aufbau eines neuen Lagers abgeworben wurde. Kaum war dies gebaut und lief, wurde er gekündigt (hire and fire) und bekam neun Monate lang keinen neuen Job. Das eigene Haus gerade verkauft, kamen sie in einem Zimmer im Keller der Schwiegereltern unter und Bettina fand Arbeit im Hotel. Für 13 Dollar die Stunde und Schichtdienst arbeitet sie im Hotel, zusammen mit drei bis fünf Mitarbeitern, wenn der Manager nicht in Urlaub ist, für 82 Zimmer in mittlerer Preislage. Für die ansässigen Bauunternehmen (Piplinebau, Gasgewinnung, Straßenbau), die ihre Mitarbeiter hier unterbringen, ist die Zimmermiete von 160 Dollar ein geringfügiger durchlaufender Posten. Und auch die indischen Hoteleigentümer wollen verdienen, deshalb wechseln hier ständig die Mädchen vom Zimmerservice und kommen aus bedenklichen Verhältnissen. Ich passe ab jetzt auch in Hotels noch besser auf meine Wertsachen auf.

Wir besichtigen den Stausee oberhalb von Hutson Hope, das Wasserkraftwerk und die Dinosaurier Funde; ich entdecke Landschaften, die den unsrigen sehr ähneln und übernachten am einsamen und ruhigen Whitehorse Lake, der letzten Station vor Jasper in den „richtigen“ Rocky Mountains. Die Nacht ist sternenklar und am Himmel kann man die Milchstraße erkennen. Und bei der ersten Sternschnuppe wünsche ich mir, dass die Reise eine unendlich schöne wird. Schon in der Nacht wendet sich das Blatt. Es kommt ein Sturm auf, der mich erstmal nicht wieder einschlafen lässt. Am Morgen ist der Spuk vorbei und erst nach dem ausgedehnten Spaziergang um den Whitehorse See packe ich meine Sachen zusammen.

Wir fahren nach Jasper. Unsere vorletzte gemeinsame Station und bleiben drei Tage. Eine verdiente Ruhepause einlegen und während Charly bereits eigene Wege erwandert, gehe ich ins Schwimmbad mit Dampfsauna. In der sitzen zur Mittagszeit, die älteren Einheinischen, einschließlich unserer Gastgeberin und hören sich um, was es Neues im Ort gibt: Geld ist gefunden worden, viel Geld. Irgendwo in den Bergen. Man munkelt aus Drogengeschäften.

Knapp 400 Dollar bezahlt man in der Fairmont Jasper Park Logde für den Blick auf den See und den Mount Cavell. Benannt nach einer britischen Krankenschwester (heute Gesundheitspflegerin), die sich im ersten Weltkrieg aufopferungsvoll um die Soldaten beider Seiten gekümmert hat. Beim Canyonbesuch treffe ich auch dort immer wieder auf diese kleinen, putzigen und auf Parkplätzen dickgefressenen Eichhörnchen. Eines hatte mich bereits beim Spaziergang um den Whitehorse See lautstark angefeindet, kam sogar in kurzen Zügen den Baum herunter fast bis auf Kopfhöhe und wollte wohl sehen, wer von uns länger standhält. Hätte fast funktioniert, aber dann hat es sich doch lautstark zierpend aus den Staub gemacht. Alle anderen waren bisher einfach putzig, wie die Bilder zeigen.