Abenteuer Wiedereinreise in Thailand

21.01.

Bin sehr früh wach. Der Wecker soll erst um 5:50 Uhr klingeln und der Minibus zur Grenze erst um 6:40 Uhr kommen. Meine Sachen habe ich gestern Abend gepackt. Es müssen nur noch Kleinigkeiten in den Rucksack.

Die Fahrt zur thailändischen Grenze dauert fünf Stunden. Eine Stunde vor Ankunft werde ich langsam unruhig und beginne zu überlegen, wie ich den thailändischen Grenzern mein Problem erkläre: Ausgecheckt am 10.01. in Pattaya/Thailand. Sieben Tage mit dem Katamaran auf See im Golf von Thailand. Ausstieg am 17.01. am Strand von Koh Chang. 18.01. Immigration Office Koh Chang kann keinen Einreisestempel geben. Recherche bis zum 20.01. und nun Ankunft an der Grenze bei Khlong Yai. Habe eine kurze Erklärung auf Englisch verfasst.

Ankunft an der Grenze: Aus dem Minibus steigen 11 Personen aus. Zehn gehen zum Abreiseschalter für Kambodscha. Ich nehme den entgegengesetzten Weg und natürlich will mich ein ganz junger Grenzhelfer zurückhalten, um zum Wiedereinreiseschalter zu gelangen. Die Erklärung ich sei auf der falschen Seite gewesen und müsste Wiedereinreisen veranlasst ihn meinen Pass den thailändischen Grenzern zu bringen, die hinter verdunkelten Scheiben in ihrem klimatisierten Büro sitzen und ab und zu ein Fenster öffnen, um die Einreisepässe zu kontrollieren und abzustempeln. Der Chefgrenzer wird informiert und es dauert und dauert und dauert. In der Zwischenzeit fülle ich das Einreiseformular aus, in der Hoffnung, dass alles völlig unproblematische abläuft und diese Grenzer sich mit Wiedereinreisen mit Menschen wie mir auskennen. Die gibt es aber leider sonst nicht! Informiere noch kurz meine Schwester, dass ich jetzt an der Grenze mit den Formalia beschäftigt bin. Sie macht sich natürlich auch Sorgen. 

Und es kommt wie es kommen muss: Ein Grenzer öffnet sein Fenster, schaut mich sehr böse an und sagt nur, dass ich nach Kambodscha gehen soll. Kann gerade noch fragen, ob ich einfach so gehen soll und nach einer Stunde wiederkommen kann, um in Thailand wiedereinzureisen. Er murmelt in seinen nicht vorhandenen Bart: Ja, ja. Kann nur hoffen, dass ich das richtig verstanden habe.

Packe meine Rucksäcke in der glühenden Mittagshitze und gehe über die Grenze nach Kambodscha. Zum Nachdenken bleibt mir nicht viel Zeit. Am Einreiseschalter in Kambodscha angekommen, muss ich ein Tagesvisumformular ausfüllen. Bin froh, dass ich ein aktuelles Foto dabei habe. Betrete das Grenzbüro, in dem drei gestandene Herren sitzen  und 1.500 Bath für das Visum haben wollen. Bis sie feststellen, dass ich schon vor 11 Tagen aus Thailand ausgereist bin. Gebe sicherheitshalber schnell zwischendurch meiner Schwester Bescheid, dass ich bei den Grenzern in Kambodscha angekommen bin. Kann noch kurz erklären, dass ich mit dem Schiff gekommen bin. Und schon wird ein „Grenzagent“ gerufen. Ein netter kleiner Kambodschaner, der mir erklärt, dass einige Touristen nicht wissen, dass sie in Koh Kong einchecken müssen, wenn sie mit einem Schiff kommen. Wir setzen uns in ein Café nebenan: Wie ich denn hergekommen sei, wo das Schiff liegt und wo die Schiffspapiere sind, werde ich gefragt. Na ja, also erneut meine unglaubliche Geschichte. Sein Gesicht wird immer finsterer und er meint, dass ich unbedingt die Crewliste brauche, sonst wird es sehr kompliziert und sehr teuer für mich. Mir wird mulmig. Auf die Frage, ob ich nicht einfach wieder zurück nach Thailand gehen kann, verneint er. Und meint, ich sei jetzt in Kambodscha. Das wäre ich jetzt lieber nicht, aber was soll ich tun.

 

Es ist wie es ist. Ungefähr noch fünf Mal muss ich ihm erklären, dass ich keinerlei Schiffpapiere besitze. Er nimmt mich mit seinem Motorrad vorbei an allen weiteren Grenzkontrollen mit nach Koh Klong. Ok. Bin in Kambodscha angekommen, aber nicht besonders glücklich. Nach einer halben Stunde Fahrt halten wir an einem Kiosk. Steigen ab und ich muss ihm meine Geschichte noch mal genau erklären. Er ruft seinen Freund an. Er sei der Einzige, der mir jetzt noch helfen könne.

Kaum ist er angekommen, vertiefen sich beide in ein langes sehr ernstes Gespräch. Immer wieder werde ich gefragt, wo ich wann gewesen bin und ob ich dafür Beweise hätte. Kann ihnen nur meine Fotos und Videos zeigen. Mittlerweile ist mein Mobiltelefon ausgefallen. Keine Verbindung mehr mit der thailändischen Sim-karte. Mir geht durch den Kopf, dass ich mir besser die Adresse und Kontaktpersonen der deutsche Botschaft in Kambodscha notiert hätte. Kurz läuft mein Kopfkino: Wie es wohl in kambodschanischen Gefängnissen aussieht und wie lange ich da auf Hilfe warten müsste. Beide sind der Meinung, dass es äußerst kompliziert werden kann. Manchmal lassen die thailändischen Grenzer Touristen nicht wieder in Kambodscha einreisen und dann sitze ich zwischen zwei Grenzen fest. Auch eine Ausreise aus Kambodscha von Phnom Penh aus wird kurz diskutiert. Kopfkino hoch zehn läuft weiter. Mitten drin in einem echten Krimi. Live. Es ist wie es ist und ich habe nicht das Gefühl, dass ich dabei sterben werde. Also ist alles gut! Sein Freund verlässt den Ort des Geschehens mit meinem Reisepass, um weiteres zu organisieren. Komisches Gefühl, dem ich lieber nicht nachgehe. Meinen Reisepass habe ich noch nie irgendjemandem gegeben, der dann damit auf und davon ist. Hoffentlich sind die beiden zuverlässig. Es bleibt mir wohl keine andere Wahl, allein in Kambodscha. Wäre jetzt lieber in Thailand. Irgendwie bin ich ein wenig sauer auf die thailändischen Grenzer und auf mich. Hätte denen vielleicht nicht so schnell nachgeben sollen und über die Grenze gehen. Kopfkino eben!

Wir fahren mit dem „Agentenmoped“ zum nächsten Kiosk, halten und steigen erneut ab. Hier wird mir eröffnet, dass er sich nicht mehr sicher sein, kann, dass ich nicht noch irgendetwas anderes angestellt habe und auch er in Gefahr gerät, falls ich nicht wieder in Thailand einreisen könne. Sein Freund müsste erst Informationen von den thailändischen Grenzern einholen, ob ich wieder einreisen kann. Mehrfach muss ich ihm erklären, dass ich die Grenzer so verstanden habe, dass ich nach einer Stunde Aufenthalt in Kambodscha wieder einreisen kann. Ich glaube, er glaubt mir langsam. Mittlerweile hat sich auch mein Gesicht verfinstert, bei den vielen guten Nachrichten. Bin mir nicht mehr sicher, ob ich mein gebuchtes thailändisches Hotel in Khlong Yai nochmal sehen werde. Die Hotels in Kambodscha sahen besser aus, aber ob ich die besuchen werde, weiß ich im Moment auch nicht.

 

Es ist wie es ist. Mal sehen was passiert. In diesem Moment ruft sein Freund an und er nennt mir eine Summe, für die er die nötigen Papieren besorgen könnte. Bei mir macht sich innerliche Erleichterung breit. Da geht doch was! Ich schaue finster drein. Habe die Summe wohl vernommen und nun versuche ich mein Spiel zu spielen: Sinke eine gefühlt lange Zeit denkend in mich zusammen: Hatte ich mir doch vorher ungefähr vorgestellt, was ich wohl bereit wäre im Maximum zu zahlen und ob ich das verkraften könnte. Diese Summe ist erreicht. Ob ich wohl noch verhandeln kann? Immerhin scheint die Situation sehr ernst zu sein. Ich wage es und frage nach, ob er auch mit weniger einverstanden sein würde. Die Antwort: Wie viel ich denn bezahlen könnte? Gehe runter auf unter die Hälfte und wir gelangen sehr schnell zu einem etwas niedrigeren Preis für ein 30 Tage Visum, Ein- und Ausreisestempel von heute. Ok. Bei den kambodschanischen Grenzern müsste ich Schweigen, sein Freund würde dort alles regeln. Ich dürfte nur sagen, dass ich alle Schiffspapiere eingereicht hätte und dann solle ich so schnell wie möglich zur thailändischen Grenze gehen. Da beständen wohl keine Probleme. Die habe ich aber gerade, weil ich keine Dollar besitze. Mein kleiner „Agent“ bringt mich zum nächsten Bankautomaten und ich hebe vor lauter innerlicher Aufregung zu viel Dollar ab. Erzähle ihm, dass es zu wenig wären, die ich bekommen hätte. Die restlichen Dollar könne ich in Bath bezahlen, meint er. Solange ich auch ihn noch bezahlen könne und was ich gedenke ihm zu geben. Nenne ihm meine Summe. Hab schließlich dem Hotelmanager in Thailand für seine Hilfe halb so viel geben. Er fragt mich tatsächlich, ob ich damit glücklich bin. Er sei Buddhist und es sei ihm wichtig, dass es für mich o.k. sei. Normalerweise würde er mehr verlangen. Ich fasse es nicht. Es ist für mich o.k. Er übernimmt noch die fehlende Dollarzahlung an seinen Freund, die ich ihm ebenfalls in Bath zurückgeben soll. Ganz nett, denke ich und werde später ausrechnen, dass ich letztlich ein Wechselkursgewinn erziele. Mal abgesehen davon, dass ich natürlich bezahlen muss, ohne dass ich das jemanden erzählen darf. Papiere dabei gehabt und nichts bezahlt ist die Anweisung und nicht mit den Grenzern reden! Mittlerweile habe ich Durst und Kopfschmerzen. Die Summe müsste ich jetzt sofort bezahlen, bevor sein Freund zurückkommt. Pass weg, Geld weg. Versuche noch zu verhindern, dass mein kleiner kambodschanischer Freund hier nicht gleich alles Geld bekommt und dann weg ist. Das merkt er wohl und versichert mir, dass er bis kurz vor der Grenze bei mir bleibt und erst dann sein Freund übernimmt.

 

Sein Freund kommt und sie gehen zusammen ins Haus. Kommen nach kurzer Zeit wieder heraus und er macht sich auf und davon. Wie viel er tatsächlich bekommen hat. Keine Ahnung. Ich war nicht mehr dabei. Wir warten. Es soll ungefähr eine halbe Stunde dauern. Nicht schlecht! Das ist ja nicht so lange. Deutsche Behörden brauchen für legale Vorgänge wahrscheinlich viel länger. Illegal geht offensichtlich viel schneller.

Ein junges Mädchen auf einem neuen Roller kommt angefahren. Nimmt meine bezahlten Bath von ihm entgegen. Seine Tochter. Sie möchte sich etwas Schönes kaufen und schließlich sei er der Vater und es sei seine Verpflichtung für sie gut zu sorgen, erklärt er mit einem sehr gnädigen väterlichen Lächeln und einer Zigarette im Mund. Kann ich verstehen. Wir tauschen kurz ein paar private Infos aus. Eigentlich könnte ich nach drei Jahren ohne wirkliches Verlangen auch wieder anfangen zu rauchen. Nehme untrüglich war, dass meine Anspannung doch sehr hoch ist.

Es ist mittlerweile später Nachmittag. Wir fahren los zur Grenze. Auf dem Weg kommt uns sein Freund auf dem Moped entgehen. Er hält an. Kontrolliert das Visum und die Stempel in meinem Pass und bemerkt, dass ein Stempel fehlt. Sein Freund ist überrascht, fährt schneller wieder zur Grenze zurück und ich lobe ihn: „Good job!“ Wäre ja blöd, wenn jetzt noch was an der Grenze schief läuft. Wir fahren langsam hinterher und ich bekomme nochmal gesagt, dass ich kein Wort mit den Grenzern reden soll. Einfach meinen Rucksack nehmen, der noch in deren Büro steht und zur thailändischen Grenze gehen,  um wieder einzureisen. Kurz vor dem kambodschanischen Grenzzaun, der mehr einer Straßenabsperrung gleicht, kommt sein Freund aus dem Grenzbüro. Wir steigen ab. Etwas ab von den anderen Menschen, bekomme ich meinen Pass ausgehändigt. Soll meinen Rucksack aus dem Büro holen und über die Grenze gehen. Da will ich aber nicht wirklich nochmal rein und frage, ob er den Rucksack holen könnte. Das macht er und ich gehe zum 500 Meter entfernten thailändischen Einreiseschalter.

Bekomme von dem jungen Hilfsgrenzer von heute Morgen ein Einreiseformular. Fülle es aus und reiche es zusammen mit meinem Pass durch das Fenster dem Grenzer. Der gibt etwas in seinen Computer ein. Fotografiert mich. Schaut wieder komisch lange zum Computer. Mein Kopfkino beginnt  erneut. Er gibt wieder etwas ein und macht erneut ein Foto. Schaut wieder zum Computer. Stempelt meinen Pass und dann bin ich drin. Offizieller Stempel für weitere 90 Tage. Der Aufprall der Steine, die mir vom Herzen auf den Boden fallen, hält sich in Grenzen.

Bin nur noch müde, der Hunger ist mir vergangen und hoffe, dass ich das gebuchte Hotel in 17 km Entfernung bald beziehen kann. Wie hinkommen? Ein Taxi finden in dem etwas unwirklich anmutenden Grenzdorf. Der einzige Taxifahrer, den ich sehe, möchte 400 Bath. Verhandele immer noch zu viel zu viele 300 Bath und er hebt meinen Rucksack in sein Taxi, den ich auf der Straße habe stehen lassen. Da steht ein sehr altes und schmales Thaimännchen neben uns und schimpft wie ein Rohrspatz. Ich verstehe nur, dass ich mit diesem Taxi nicht ins Hotel komme. 200 Bath, sagt er. Rucksack aus dem Taxi. Der Taxifahrer ist sprachlos. Ich auch. Will der „alte Chef“ hier nicht, dass ich mit dem Taxi fahre? Ja, denn gegenüber wartet ein anderes Taxi, einer Thaifrau, die erneut wissen will, wohin es geht und 200 Bath dafür verlangt. Es ist wohl eher so, dass sie an der Reihe war, Gäste zu fahren und ich dafür 100 Bath spare. Die Anspannung des Tages fällt von mir ab, als ich glücklich im Hotel ohne Rezeption ankomme und dort eine Hotelfrau bereits auf mich gewartet. Angekommen in Thailand bin ich erst als ich am Abend im Dunklen über den von Leben überfülltem einheimischen Markt schlendere, wo es sonst keine Touristen gibt. Angekommen so wie ich es verstehe. Angekommen im echten Thailand, wo man Touristen komisch ansieht, weil sie anders aussehen und hier nicht üblich sind. Glücklich angekommen.